Two Gallants



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real cool recursive humor

Galant durch die Mythologie der Südstaaten

Die Two Gallants und ihr Album What The Toll Tells

(Version 0.93 Beta 19/05/2006)


- "Zeit genug," sagte Corley. "Sie wird dort sein. Ich lasse sie immer ein wenig warten."
Lenehan lachte leise.
- "Eh, Corley, du weißt, wie man mit ihnen umgehen muss", sagte er.
- "Ich kenne alle ihre kleinen Tricks", gab Corley zu.


So reden Lenehan und Corley, die Hauptfiguren aus Two Gallants, einer Kurzgeschichte von James Joyce. Die beiden sind etwas zwielichtige, streetsmarte Burschen, die mit einer Mischung aus Charme und krimineller Energie in den Straßen Dublins zu überleben verstehen.

CD-Cover Two
	Gallants: What The Toll Tells

Diese Szenerie schwingt im Hintergrund mit, wenn man über die Two Gallants aus San Francisco redet; ein Folk-Punk-Duo, das mit seinem zweiten Album What the Toll Tells hartgesottene Musikkritiker reihenweise in Erstaunen versetzt. Das Unerhörte an dieser Band ist der Tonfall, den sie in ihren Liedern findet: die Art, in der zwei Grünschnäbel Anfang 20 sich mit irritierender Selbstverständlichkeit an das Reservoir von Mythen, Klängen und Geschichten der amerikanischen Folk- und Desperadokulturen anschließen. Ähnliche Chuzpe hat man nicht mehr gesehen, seit Bob Dylan sich vor über 40 Jahren das Erbe des amerikanischen Folk anverwandelt hat.

Das Überraschende ist, dass das heute funktioniert. Dass es nicht konstruiert und peinlich klingt, wenn die Gallants in Las Cruces Jail aus der Perspektive eines Mörders schreiben, der auf seinen Tod am Galgen wartet: "I shot one man on the county line. Took his dime and I blew his mind. Now I'm just sitting here doing time. Sun don't you rise no more." Oder wenn sie Geschichten aus einer Zeit erzählen, in der die Eisenbahn das wichtigste Kommunikationsmittel war, in der Züge Männer stahlen, und in der "Railway Girl" und "Brakeman's Son" soziale Kategorien waren. Die Gallants finden den richtigen Tonfall, sie betten die Stories in Klänge ein, die nicht unbedingt historisch 'korrekt' sind, die aber idiomatisch korrekt klingen.

Musikalisch kombinieren die Two Gallants recht unverkrampft Elemente aus Folk, Blues, Country und Punk. Was in weniger geschickten Händen zu einem grässlichen Crossover-Konglomerat verkommen könnte, ergänzt sich bei dem Duo sehr subtil. Die musikalischen Genres lösen sich nicht auf, sie inspirieren sich eher wechselseitig. Man fragt sich, wie die Todesangst des Verurteilten bisher ohne Rückgriff auf Punk ausgedrückt werden konnte.

Der Sound kommt minimalistisch daher, die Standardinstrumente sind nur Gitarre und Schlagzeug, gelegentlich ergänzt durch eine Blues Harp. Adam Stephens' Stimme ist rau genug, um den Schmerz, aber auch den Spaß auszudrücken, den das Leben am Rande der Gesellschaft mit sich bringt. Die Instrumente, speziell Tyson Vogels Schlagzeug, werden expressiv eingesetzt, sie unterstreichen das Drama der Songs. Die Lieder sind durchfurcht mit Tempowechseln, Breaks, Ausbrüchen, die aber letztlich wieder in die Songstruktur zurückführen.

Ja, die Songs, sie machen die Magie der Gallants aus. Sie verstören, hinterlassen Spuren. Sie schlagen ein mit einer archaischen Gewalt, die sich nicht aus der individuellen Erfahrung zweier Twentysomething-Kids aus der Bay Area speist. Sie sprechen von einem, behaupten einen, kollektiven Erfahrungszusammenhang: "I come from the old time, baby, where all the kids are crazy". Aber wer oder was spricht da?

"Geschichten aus einer Zeit, in der die Eisenbahn das wichtigste Kommunikationsmittel war, in der Züge Männer stahlen, und in der "Railway Girl" und "Brakeman's Son" soziale Kategorien waren."

Im Unterschied etwa zu Dylan, der viele seiner Postfolk-Songs in der dritten Person verfasst hat, und somit von einer externen Perspektive aus schreibt, sprechen die Songs der Two Gallants in der ersten Person: "But I see that gallows altar, that circle round the sun. They'll hang me if I stay here, shoot me if I run." Aber während es noch recht einfach ist, eine narrative Traditionslinie von der alten Outlaw-Kultur zur modernen Indie-Musik nachzuziehen, wird die Sache schwieriger, wenn die Two Gallants in The Train That Stole My Man aus dem Blickwinkel einer Mutter schreiben, deren Mann sich mit der Eisenbahn davon gemacht hat.

Oder aus der Perspektive eines schwarzen Plantagenarbeiters, der vorhat, sein Schicksal in seine Hände zu nehmen: "Cause the summer day makes a white man lazy, he sits on his porch killing time. And the summer day makes a nigga feel crazy. Might make me do something out of line. So if you see my wife, tell her I won't be home tonight... I've got a little business down the road." Diese Lyrics sind aus dem Gallants-Song Long Summer Day, inspiriert von einem gleichnamigen Song Moses "Clear Rock" Platts. Bei Pitchfork wurden den Gallants vorgeworfen, sie "borgten sich Andersheit", wenn sie als weiße Kids über den von Schwarzen erfahrenen Rassismus schreiben. Aber dieses Argument liefe letztlich darauf hinaus, dass man nur über seine eigenen Erfahrungen schreiben darf - und selbst darauf kann man sich nicht verlassen. Denn auch im eigenen Ich ist man nicht vor Andersheit sicher, wie der bekennende Rimbaud-Leser Stephens weiß. Man kann darüber streiten, wie gut es den Gallants gelingt, sich in den Erfahrungshorizont schwarzer Arbeiter in den Südstaaten einzufühlen. Aber sie bringen selbst so viel Andersheit mit, dass sie nicht darauf angewiesen sind, sie anderswo zu borgen.

Die eigene Andersheit der Gallants kommt vielleicht am besten in Songs wie Steady Rollin' hervor, einer entspannt vor sich hinrollenden Ballade, in der eher beiläufig Frauenleichen im San Francisco Bay versenkt werden, ohne dass dies den beschwingten Lauf der Dinge merklich beeinflussen würde. "You might have seen me near the pool hall lights. Well, baby, I go back each night. If you got a throat I got a knife. Steady rollin' I keep goin'". Ein Junge muss schließlich sehen, wo er bleibt. Improvisieren, mit dem Fluss gehen, weiterrollen. Wie die verrückten Kids aus der alten Zeit, wie Corley und Lenehan.




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