Velvet Underground



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real cool recursive humor

Die Tyrannei der Intimität

- Anlässlich eines Velvet-Underground-Konzerts -

Es gibt Ereignisse, die sind einerseits notwendig und andererseits so überdeterminiert, dass sie eigentlich gar nicht stattfinden müssten, weil sich durch sie für niemanden etwas ändert. Der Beobachter sieht das Ereignis sich ereignen, aber er kann es gar nicht richtig wahrnehmen, geschweige denn darüber berichten, denn alles was er sieht ist nichts als ein großes Deja-vu. Der Beobachter berichtet dann auch nicht von dem Ereignis, sondern erzählt, ohne es wirklich zu merken, eine Legende nach, die es vorher schon gab.

Wer die Berichterstattung über die beiden Konzerte der Band Velvet Undergound verfolgt hat, dem kann aufgefallen sein, dass die Artikel fast durchgehend auch schon vor den Konzerten hätten geschrieben sein können, dass es mehr oder weniger gute Artikel über die Band und die Unmöglichkeit, heute ihrem eigenen Mythos gerecht zu werden waren, und nicht über die Konzerte selbst.

Und man ist sich einig: "die einflussreichste Band der modernen Rockmusik" (taz/FAZ) macht, wenn auch "mit Längen" (FAZ), ein "schönes Konzert" (Tagesspiegel), aber das ist halt nicht genug, weil sie sich damit eben doch als just another "Rock'n'Roll-Band" (taz, interessante Zeichensetzung im Original) erweist, so dass die Veranstaltung "museal" (Tagesspiegel), bzw. "überholt vom eigenen Einfluss" wirkt und so einen etwas schalen Nachgeschmack hinterlässt.

Wichtig ist wohl weniger die Frage, ob die Velvets nun einflussreicher als die Beatles oder die Stones waren, als die Tatsache, dass die Musik und die Texte kaum einer anderen Band je so mit Bedeutung für das Leben und die Biografie ihrer Hörer aufgeladen wurden. Bei kaum einem anderen Act der Popmusik gibt es soviele signifikant gemachte "Zeilen". Meine Freundin besitzt ein T-Shirt mit dem Cover der Bananen-LP drauf. Nun ist der Großtädter im allgemeinen den Aufdrucken auf Textilien gegenüber ja ziemlich indifferent, aber in diesem Fall ist das nicht so. Meine Freundin trägt ihr T-Shirt inzwischen nicht mehr, weil es ihr auf die Nerven geht, dass pausenlos irgendwelche wildfremden Menschen sie in peinliche Situationen bringen, weil sie das Bedürfnis haben, zum Ausdruck zu bringen, wie cool sie VU und das T-Shirt und Menschen, die so ein T-Shirt tragen, usw., finden. Es gibt Erwartungen, die man begründeterweise haben darf, und andere, die man begründeterweise nicht haben sollte, und dann gibt es Erwartungen, die hat man, obwohl man weiß, dass sie nicht begründet sind. Und gerade bei VU konnten solche Erwartungen jahrzehntelang ausgearbeitet und mystifiziert werden, ohne dass sie sich im Kontakt mit einer Realität hätten bewähren müssen, weil es von VU eben nichts gab als diese handvoll LPs und ein paar Bootlegs.

Und es tut immer ein bisschen weh, wenn man wieder einmal erfahren muss, dass vermeintlich ganz persönliche Vorstellungen von dem, was hip ist an Musik und Drogen und Sex und anderen Zeichensystemen, und deren hipness immer mit dadurch definiert ist, dass sie different sind und nicht mainstream, dass diese Vorstellungen als massenhaft wirksam entlarvt werden. Und dann stehen die Massen in einer Halle am Rande der Stadt, haben Eintrittspreise bezahlt, die sonst nur Mainstream-Acts zu verlangen wagen; zudem haben die Veranstalter in schon unanständig zu nennender Weise zuviele Karten verkauft, sodass die Besucher so dicht gedrängt stehen, dass sie kaum genug Platz zum Klatschen haben. Dann stehen die vermeintlich avantgardistischen Musikhörer da und bilden ein Rockpublikum, das so dröge und doof aussieht wie jedes andere auch. Stehen da und fassen es nicht, wer da alles dieselben Textzeilen derselben Lieblingslieder mit denselben Bedeutungen aufgeladen hat. Ist es denn erlaubt, bei "Heroin" mitzusingen und mitzuklatschen? Jedenfalls ist es möglich, sie tun es. Sie gröhlen "du bist wie wir". Nie war Musikhören mehr bewusstseinserweiternd.

Stehen da und hören ihre Velvets, jeder seine ganz privaten. Lieder, die erzählen aus einer Zeit, in der es noch Stil hatte, Drogen zu nehmen, gespielt von vier nüchternen Musikern vor einem weitgehend nüchternen Publikum, das "auf Anordnung von Velvet Underground", wie es hieß (was will man groß semiotische Untersuchungen machen in einer Stadt, in der Kleingartenanlagen, wenn schon, nicht etwa Frieden heißen, sondern, ihres eigenen epistemischen Status ungewiss, 'Frieden'), keine alkoholischen Getränke ausgeschenkt bekam.

Sie spielen in werktreuer Manier ihre alten Lieder. Alle. Nicht wie sonst in Konzerten: dass hauptsächlich die neue LP gespielt wird, die keiner hören will, und dann zur Belohnung ein paar Oldies. Nein, gnadenlos besorgen sie es dem Publikum, nudeln sie alle alten Schlager runter, einen nach dem anderen, und 90% der Besucher können 90% der Texte auswendig mitsingen. Da wird nicht verfremdet, da wird nachgespielt, was schon immer vorgespielt worden war. Und deshalb ist auch gar nicht wichtig, was und wie sie eigentlich gespielt haben, der Film läuft, und es ist eine gute Kopie, er reißt nicht. Jeder Zuhörer und jeder Kritiker hört das, was er schon immer hören konnte. Der Mann von der FAZ beispielsweise hört "impulsive Gitarrensoli", wahrscheinlich weil er überall und immer Gitarrensoli hört. Nun gibt es kaum eine Beschreibung, die auf die Musik von VU weniger zutrifft, denn es ist, wie ja nun außerhalb der FAZ wirklich jeder weiß, gerade die Emanzipation der Rhythmus-Gitarre von der Dominanz der Lead-Gitarre, die den epochemachenden Sound der Band definiert. (Bekanntlich hatte sich Reed ja auch vom lieben Gott erfolgreich gewünscht, dass er einen Rhythmusgitarristen aus ihm machen möge). Der Berichterstatter des Tagesspiegel hört das Lied "Sister Ray", einen der wenigen Schlager, der nicht gespielt wurde, der von der taz hört "Heroine", ein Lied aus Reeds Solo-Phase, das er mit dem Velvet-Song "Heroin" verwechselt. Aber das macht nichts. Wo er schon beim Anekdotenerzählen ist, kolportiert der FAZ - Reporter gleich noch mit, David Bowie habe "in der Hochphase des Punk" Lou Reeds "Walk on the Wild Side" produziert, was man ja als interessante These diskutieren müsste, wenn man nur davon ausgehen könnte, dass, wer das schreibt, weiß, was er da schreibt. Die LP mit dem Lied ist 1972 erschienen.

Es war ein Konzert, in dem nichts passierte, aber es war ein "schönes Konzert" (Tagesspiegel). Man kann alle Charakterisierungen der Musik aus allen veröffentlichten Biografien nacherzählen, sie stimmen. Cales Bass ist "minimalistisch", Tuckers Drums sind "monoton", Reeds Gesang ist "spröde". Nur zu Sterling Morrison steht wenig in den Biografien, weshalb sein musikalischer Beitrag auch umstritten ist. Ist er nun "fies und gefährlich" (taz) oder "schüchtern und deplaziert" (Tagesspiegel). Wie dem auch sei, das lässt sich nur mit seinem Beruf erklären, ist Morrison doch der einzige, der nach der VU-Ära keine Musik mehr gemacht hat. Er wurde nämlich "Literaturprofessor" (FAZ). Stimmt gar nicht, er wurde "Englischlehrer" (Tagesspiegel), ach was, "Literaturlektor" (Tip), auf jeden Fall wohl irgendwas mit Abitur.

Aber es war ein "schönes Konzert", kein Frage, schöner als man erwarten durfte. Vor allem, weil der Sound von VU weniger dem als Ganzes ziemlich abgewirtschafteten Genre Rock'n'Roll verhaftet ist, als die Solobemühungen von Reed und Tucker. Reed hat sich seit den 80er Jahren darauf beschränkt, zur besseren Sorte Musiker innerhalb dieses Genres gehören zu wollen, welches heute strukturell eher peinliche Schweiß- und Echtheitsposen produziert als Bedeutungen, mit denen etwas anzufangen wäre. Oder gibt es noch irgendjemanden, dem Nirvana wichtig ist, wenn man davon absieht, dass der Sound funktioniert, was ja auch schon eine Menge ist. Reeds nicht gerade aufregende, aber doch mit Einschränkungen brauchbare Bemühungen als Rocker waren dann auf seiner letzten LP noch mit einem unappetitlichen Privatmystizismus angereichert worden, der die Platte ziemlich ungenießbar machte.

Der eine Grund, warum das Konzert der Band VU besser war als die Musik der Summe ihrer Mitglieder ist eben der, dass der Sound funktioniert. Wenn sie "Rock and Roll" spielen, dann schaffen sie es auch, das Haus zu rocken, und man ahnt, dass in einer Zeit, in der die großen Erzählungen noch nicht zuendeerzählt waren und der Faden noch nicht gerissen war, diese Art Musik das Leben von Teenagern retten konnte. Der zweite Grund, und daran ist John Cale stark beteiligt, ist, dass die Musik eben nicht nur Rock'n'Roll ist, sondern dass sie swingt. Schon auf den letzten Solo - Konzerten Reeds haben Lieder wie "Beginning of a Great Adventure", als Entschuldigung für den ganzen langweiligen Rockismus dienen müssen. Für die Nicht-Rock-Elemente Swing und Noise steht Cale, wenn er Viola oder Piano spielt, und dieses Zusammenwirken hatte auch schon die von Cale und Reed produzierte LP Songs for Drella zu einer außergewöhnlichen Platte gemacht, und es wird jetzt noch dynamisiert durch Mo Tuckers "primitiv vorwärtsgeschlagenes Schlagzeug" (taz). Und wenn sie "Afterhours" singt, dann bebt die Halle vor Rührung. Einer neben mir hat gewagt, ein Feuerzeug anzuzünden. Ich habe ihm einen Schneidezahn heraushauen müssen, denn er hatte offensichtlich noch nicht die sittliche Reife für ein VU-Konzert.

Es war ein "schönes", aber auch ein seltsames Konzert, nett wie Lou Reed den Einsatz zum Mitsingen des Refrains von "Sweet Jane" gibt, wie er das offensichtlich auch selbst ziemlich blöd findet und sich im Akt des Dirigierens davon distanziert. Und seine sadistische Freude und sein Ekel, dass sie alle singen. Den stilechten Abgang: aufhören, Licht an, keine Zugabe, haben sie verpasst, aber es war trotzdem ein schönes Konzert.

Aber das soll es nun auch gewesen sein. Wir wissen jetzt, wie es war damals, und dass es so gewiss nicht war, weil dieselbe Musik in einem anderen Kontext nicht dieselbe Musik ist. VU haben noch einmal gezeigt, dass man auch im Alter nicht so blöde und korrupt sein muss wie die Jaggers dieser Welt. Aber niemand, wirklich niemand braucht diese Musik heute, und vielleicht ist es überhaupt ganz praktisch, Musik nicht mit Bedeutungen aufzuladen. Und erst recht niemand braucht neue Lieder, die "Coyote" heissen und von Tieren erzählen, die auf Berge steigen und in der Gegend rumheulen, auch wenn sie angeblich von Velvet Underground sind. Niemand außer dem FAZ-Kritiker, dem haben vermutlich die imaginären Gitarrensoli gefallen.




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