Zimmerschied



Anwesenheit des Abwesenden
Bilderverbot
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real cool recursive humor

Szenen aus einem alten, seltsamen Bayern

Porträt des Kabarettisten Sigi Zimmerschied

Der Mann schwitzt. Er werkelt, gestikuliert, wuchtet seinen Körper über die minimalistisch ausgestattete Bühne. Er schlüpft in seine Figuren wie in eine Haut. Dabei verzerren sich seine Gesichtszüge so sehr, dass man erschrickt und ihm wünscht, dass er nachher wieder in seine eigene Gestalt zurückfindet.

Porträt des Künstlers als junger Wilder
Porträt des
Künstlers als junger Wilder

Sigi Zimmerschieds Kunst erschließt sich, wenn man sich ihr über den Körper nähert. Ein Körper, der in seinen Aufführungen als fast perfekt beherrschtes Instrument fungiert. Ein Körper, dem viel zugemutet wird; der ächzt, stöhnt und sich windet, während er in die Charaktere hineingezwängt wird, die Zimmerschieds Stücke bevölkern. Ein Körper auch, der manchmal rebelliert und eine Eigenlogik entwickelt. Von 78 Kilogramm Körpergewicht hinauf auf 125, und dann wieder herab auf 92, wie in der offiziellen biographischen Timeline auf seiner Webseite eine Zeit lang penibel notiert wurde. Zimmerschied bekennt sich auf Nachfrage zur Genussfreude, zu einem 'eudämonischen Moment'. Die Gewichtsangaben brechen im Jahr 2000 ab, aber im persönlichen Kontakt gewinnt man den Eindruck, dass derzeit in dieser Kategorie keine neuen Höchstwerte angesteuert werden.

Zimmerschied hat es sich mit seiner Arbeit nicht leicht gemacht, das zeigt sich, wenn man seinen Weg mit dem seines ehemaligen Partners Bruno Jonas vergleicht. Beide waren im Niederbayern der 70er Jahre angetreten, um Kabarett mit politischem Anspruch zu machen. Jonas hat sich seit vielen Jahren mit bundesweitem Erfolg in der 'Scheibenwischer'-Nische etabliert. Dort wird ein Kabarett gemacht, das von einem 'kritischen' Publikum recht bruchlos, und ohne große Gefahr für das eigene Wohlbefinden, konsumiert werden kann: Die 'Scheibenwischer'-Klientel ist kaufkräftig, und sie lässt sich gerne ein wenig in den Ansichten bestärken, die sie über die Jahre hinweg liebgewonnen hat.

Elemente des Folk

Im Gegensatz dazu verfolgt Zimmerschied einen sperrigeren, weniger marktgängigen Ansatz. Schon sprachlich sind seine meist in einem starken bairischen Dialekt vorgetragenen Stücke in weiten Teilen des Landes schwer zu verdauen. Für Zimmerschied ist diese Sprache mit ihren vielen dunklen Vokalen ein unverzichtbares Arbeitsmittel: 'Damit kann man seelische Abgründe darstellen, ohne ein Wort zu sagen.' Aber es ist vor allem die Machart seiner Stücke, die sich einer einfachen Rezeption entzieht. Zimmerschieds Stücke sind nicht auf schnelle Pointen hin konstruiert. Sie nehmen sich die Zeit, Charaktere zu entwickeln und längere Spannungsbögen aufzubauen. Die Pointen dienen eher als Markierungen, an denen die Protagonisten auf dem Weg in ihr Schicksal entlangstolpern. 'Bush geht immer', sagt er fast ein wenig entschuldigend, wenn er in einem Exkurs noch ein paar tagespolitische Gags über den US-Präsidenten anbringt.

Die politische Dimension ist in seinen Stücken stets präsent, aber sie kommt oft durch die Hintertür herein. Bei einem anderen Kabarettisten wäre der Satz 'ohne Genehmigung ist der Mensch nur eine Behauptung' eine nettes Bonmot über obrigkeitsstaatliches Denken. In Zimmerschieds 'Scheißhaussepp' wird er zum Leitmotiv für das Leben des Josef Lana, der als staatlich sanktionierter Witzeerzähler jobben muss, um seine Existenz als selbständiger Betreiber einer öffentlichen Bedürfnisanstalt fortsetzen zu können.

Das Personal in Zimmerschieds Stücken bilden handfeste, bodenständige Leute. Sie haben eine derbe, und oft auch eine böse und niederträchtige Seite. Aber die Bösen, das sind bei Zimmerschied nicht die anderen. Der Zuschauer kommt aus diesen Stücken nicht ungeschoren heraus, weil er in dem kruden, bauernschlauen Pragmatismus der Charaktere auch seinen eigenen Common Sense wiedererkennt.

Mit schöner Regelmäßigkeit enden Versuche, populäre Kultur darzustellen, hierzulande im Kitsch oder in einer nur halb überwundenen Blut-und- Boden-Ideologie. Als Zimmerschied 1983 das Passauer Volkstheater gründete, tat er dies auch mit dem Ziel, das Leben der einfachen Leute darzustellen. Und in seinen besten Momenten gelingt es Zimmerschied, an Traditionen des Folk anzuknüpfen, in denen Geschichten über kollektive Erfahrungen aus einer alten, seltsamen Welt erzählt werden. Das funktioniert, weil Zimmerschieds Darstellung trotz aller Übersteigerung und Verzerrung seine Figuren nicht denunziert. Gegen die Versuchung, sie zu idyllisieren, ist er von seinem Naturell her ohnehin ziemlich immun. Denn, so sagt er, in ihm sei etwas, das will irritieren.

Missverständnisse

Zimmerschied und Niederbayern, das hatte auch etwas von dem Gegenstand, der sich gegen seine Darstellung durch den Künstler wehrt. Und was hatten sie nicht alles gegen ihn aufgefahren in den 70er Jahren? Gerichtsverfahren wegen Gotteslästerung und Verunglimpfung des Staates. Ausgerechnet einem ehemaligen Ministranten, einem Studenten, der gerade noch Arbeiten über den Auferstehungsbegriff geschrieben hatte ('ein großes Missverständnis'), wollten sie so kommen. Die Passauer Neue Presse mit ihrer Monopolstellung im niederbayerischen Raum hatte intern ein Berichtsverbot über seine Auftritte verhängt. Inzwischen hat sich das Verhältnis entspannt, und man kann auch in der Lokalpresse Artikel von Autoren lesen, die wissen, was sie an ihrem Sigi haben.

Niederbayern ist über die Jahrzehnte weltoffener geworden; das Objekt hat Gefallen daran gefunden, sich darstellen zu lassen. Aber Zimmerschied ist auf der Hut. Er weiß von einem Bekannten zu berichten, einem gestandenen Aktivisten, der auf seine alten Tage den Ruf der Kirche vernommen hat, und nun für den Vatikan als Redenschreiber arbeitet. Und er ist entschlossen, sich nicht von einer modernisierten Sprache 'der Gegenseite' einwickeln zu lassen.

Und so will Zimmerschied weiterhin inkompatibel sein und irritieren. Er will auf der Bühne schwitzen, die mimetische Verschmelzung mit seinen Figuren auf die Spitze treiben, und in seinen Mehrpersonenstücken mit den Charakteren jonglieren, dass es ihm manchmal selbst angst und bang wird. Er wird kommerziell weniger erfolgreich sein als andere, aber seine Stücke werden Geschichten erzählen, deren Wirkung nicht mit dem Applaus nach dem Gag verpufft.




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